Zu Gast bei einem Bitcoin-Netzwerk (Erlebnisbericht)

Das Modewort „Crypto“ lockte meinen Freund vom Verbraucherschutz Thomas Beutler und mich Anfang August in die „Info-Veranstaltung“ eines Bitcoin-Netzwerks.  Thomas hat den Bericht unseres Erlebnisses auf seiner Webseite geteilt. Ich gebe den Text hier ebenfalls wieder. So verrückt es auch klingt, die Geschichte ist leider nicht erfunden!

Los gehts…

Ein freundlicher Handschlag zur Begrüßung, die Gastgeberin stellt sich mit Vornamen vor und im Vortragsraum läuft Gute-Laune-Musik: der Einstieg in die Veranstaltung „Saarpfalz goes Crypto“ ist gelungen. Heute Abend soll das Publikum erfahren, was es mit der bekannten Kryptowährung Bitcoin auf sich hat und wie sie Menschen zu Wohlstand verhilft. Geworben wurde dafür unter anderem auf Facebook und Instagram.

Das Publikum ist überwiegend jung, Anfang bis Mitte 20, Jungen und Mädchen gleichermaßen und, wie sich später herausstellt, sind mehrere offenbar in einem Ausbildungsberuf. Statistisch ist das eine Verbrauchergruppe mit sehr lückenhaftem Finanzwissen.

Da möchte man doch meinen, dass es eine gute Sache ist, wenn so viele zusammenkommen, um sich an einem sommerlichen Sonntagabend in Geld- und Vermögensfragen zu bilden.

Runde 1: Das Bitcoin-Wunder

Los geht es mit einem Vortrag, der uns das „Bitcoin-Wunder“ erklären soll. Wir hören zunächst Kritik und Empörung über das bestehende Geldsystem: die Banken haben uns abhängig gemacht („eine Billion Euro verdienen die an uns“), die Banken durchleuchten uns und sicher sind sie auch nicht. Wer weiß schon, wann die nächste Finanzkrise kommt?

Doch zum Glück gibt es den Bitcoin. Er wird sich durchsetzen, weil sich das Internet auch durchgesetzt hat. Nur „Leute, die negativ denken“ stellen seinen Aufstieg noch in Frage: „Der Trend geht langfristig nach oben… auf jeden Fall!“ versichert die selbstbewusste Rednerin.

Wie können wir nun von diesem unaufhaltsamen Trend profitieren? Etwa in dem wir auf den richtigen Börsenkurs spekulieren? Oder einen Hochleistung-Computer im Wohnzimmer installieren, der Blöcke für die berüchtigte „Blockchain“ des Bitcoin berechnet (sogenanntes „Mining“)? Nein. Wie diese Technik funktioniert, weiß unsere Krypto-Expertin zwar auch nicht so genau, aber dafür versteht sie etwas vom Geschäft damit. Ihre Lösung lautet „Pool Mining“: viele Interessierte schließen sich zusammen und finanzieren gemeinsam ein riesiges Rechenzentrum, das von Profis betrieben wird und die begehrten Rechenoperationen vollzieht, für welche die Computer-Besitzer mit neuen Bitcoins belohnt werden.

Bevor wir genau erfahren, wie die Beteiligung funktioniert, müssen wir allerdings noch eine kleine Pause abwarten. Eine Stunde ist jetzt bereits vergangen. Wer hier zu Geld kommen will, muss ganz offensichtlich Zeit investieren.

Mit „Pool Mining“ zum besseren Lifestyle?

Mit dem anschließenden Vortrag „Meine Reise“ möchte uns die Rednerin ihr neues Leben als Bitcoin-Kennerin näherbringen. Und was für ein Leben – ach was, „lifestyle“!

Ein „mittelmäßiges Leben“ habe sie noch bis vor zwei Jahren geführt, beichtet uns die Studienabbrecherin und ehemalige Angestellte. Das „klassische Arbeitsverhältnis“, bei dem man „Zeit gegen Geld tauscht“ sei einfach nichts für sie gewesen.

Doch seit sie sich 2016 auf dem Kypto-Markt selbstständig gemacht hat und Mitglied dieses „Club-Networks“ wurde, ist Schluss mit der Bescheidenheit:

Gleich die erste Provision finanzierte einen Ibiza-Urlaub und das war erst der Anfang. In der Powerpoint-Präsentation folgt eine Serie von Sonnenuntergang- und Strandfotos: Dubai, Thailand, Bali… Den Computer als einziges Arbeitswerkzeug hat sie freilich immer mit dabei, doch „Arbeit“ möchte sie ihre Tätigkeit nicht nennen. Arbeiten tut nur das Rechenzentrum in Island, das mit „absoluter Gewissheit“ stetig neue und wertvolle Bitcoins ausspuckt. Davon profitieren die weltweit angeblich „200.000 bis 300.000“ Mitglieder des sagenhaften Netzwerks – allzu genau möchte man sich nicht festlegen.

Letzte Runde – Real Talk mit dem „Experten“ aus Hamburg

Zur Krönung des Abends betritt schließlich ein weiteres Club-Network-Mitglied den Raum. Der junge Mann mit Sonnenbrille und Bitcoin-T-Shirt ist extra aus Hamburg angereist, um uns von der besten Entscheidung seines Lebens zu überzeugen – und zwar mit nichts als „Zahlen, Daten, Fakten, real talk“.

Auch für ihn war das klassische Arbeitsverhältnis nur ein „schlechter Deal“. Das Tolle am System des Netzwerks sei jedoch das unkomplizierte Vertriebssystem, bei dem zwischen den Bitcoin-Produzenten und den Bitcoin-Käufern lediglich die Vertriebspartner und die Mitglieder des Netzwerks stehen.

Für ihre großzügige „Kaufempfehlung“ an Freunde, Verwandte, Fremde oder Bekannte streichen sie eine bescheidene Provision ein und genießen fortan ein sorgenfreies Leben. Wobei ein Vertriebspartner, der neue Vertriebspartner anwirbt, automatisch an deren Provisionen mitverdient. Man müsse sich nur ein „System aufbauen“ und dann folge schnell das „exponentielle Wachstum“. Ach ja, natürlich wären da noch die 99 US-Dollar Anmeldegebühr zuzüglich der Kosten, um sich am Rechenzentrum zu beteiligen. Laut der Webseite beträgt die Mindestbeteiligung 500 US-Dollar – das klingt schon etwas nach einem Schneeballsystem.

Trotzdem wirkt der Vortragende charismatisch und kompetent. Ohne je das Lächeln abzulegen, kontert er die Skeptiker im Publikum. Ob das Einkommen wirklich so sicher sei? Der Redner lacht: Sicher sei gar nichts, am wenigstens allerdings das herkömmliche Bankkonto und – nochmals ein herzliches Lachen – wer wäre schon so dumm an die Sicherheit der Rente zu glauben? Viel sicherer sei hingegen das Vertriebsmodell des Netzwerks. Damit das auch jeder richtig versteht, wird uns nochmal vorgerechnet, wie ein Vertriebspartner selbst bei fallenden Bitcoin-Kursen mindestens seinen Einsatz verdoppelt. Der Redner holt zu einem letzten rhetorischen Schlag aus: „Ein eigenes Business, ohne Risiko“ könne sich mit dem Club-Netzwerk jeder aufbauen, der absoluten Willen zeigt und sich anmeldet. So viel ist dann wohl doch sicher.

Fazit

Ist das nun alles Verbrauchertäuschung? Immerhin wird das Publikum nicht unmittelbar aufgefordert, seine gesamten Ersparnisse in eine windige Geldanlage zu stecken. Es scheint sogar, dass mit dieser Veranstaltung eher junge Menschen mit mäßigem Einkommen und geringem Vermögen umworben werden – das bestätigen schließlich auch die Lebensläufe der Referenten.

Dazu müssen ständig neue Mitglieder angeworben werden, weil sonst der Provisionsfluss ins Stocken gerät. Wer sich auf dieses System einlässt, muss also tatsächlich Zeit und Arbeitskraft investieren, simple Verbraucherhandlungen sind nur die Anmeldung und Mindestbeteiligung für mutmaßlich 599 Dollar. Hier stellt sich die Frage, ob die Club-Mitglieder tatsächlich zu Eigentümern werden und wie sich ihr Gewinn aus „Mining“ und Provisionen zusammensetzt.

Noch beunruhigender ist aber, dass Menschen ermutigt werden, ihre Ausbildung oder Anstellung zu kündigen, um sich für ein Projekt zu verausgaben, das nur wenige Gewinner zählen dürfte.

Wer renditeträchtige oder sichere Anlagemöglichkeiten für sein Vermögen sucht, wird um Veranstaltungen dieser Art vermutlich ohnehin einen Bogen machen – zu Recht!

Bitcoin
Mit Pool Mining zum großen Geld?

 

Text: M. Choblet (2018).

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